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Folgen einer wenig durchdachten Energiewende

Zusammenfassung


Die Investitionskosten von Unternehmen im Bereich der „alten“ Energie sind in den letzten Jahren stark gesunken.


Grund dafür sind die erschwerten politischen sowie rechtlichen Rahmenbedingungen.


In Deutschland wurde in den letzten Monaten mehr Kraftwerksleistung an „alter Energie“ vom Netz genommen als „neue Energie“ angeschlossen.


In der EU wird nur rund 18 % des Stromes mittels Erdgas produziert und der Strompreis richtet sich an der Strombörse nach dem teuersten Kraftwerk.


Erdgas ist auch Ausgangsstoff für viele chemische Prozesse und zahlreiche Unternehmen Europas müssen bereits ihre Tore schließen.


Ein schneller Umstieg auf erneuerbare Energie ist dringend nötig, doch die Vergangenheit zeigt uns, dass ein solcher Umstieg leicht 50 Jahre dauern kann.



Steigende Inflation - noch vor einem halben Jahr war das unsere größte Sorge. Aufgrund der politischen Probleme in der Ukraine, der extremen Dürre in Europa und dem Missmanagement der europäischen Politik in den vergangenen Jahren erleben wir aktuell noch nie da gewesene Energiepreise. Abbildung 1 zeigt die Strompreis in Frankreich und Deutschland in Euro pro MWh.

Abbildung 1: Deutsche und Französische Strompreise in Euro pro MWh, bloomberg.com


Fehlende Investitionen


Die Investitionskosten von Unternehmen im Bereich der „alten“ Energie sind in den letzten Jahren stark gesunken. Grund dafür ist, dass Bergbauunternehmen entweder nicht bereit oder nicht in der Lage sind, ihre Investitionen zu erhöhen und politische sowie rechtliche Rahmenbedingungen erschwerten dies zusätzlich. Man kann dies mit Ölgesellschaften vergleichen, die nicht mehr die „bösen Jungs“ sein wollen. Sie reduzieren daher die Investitionen und nutzen den höheren freien Cashflow für höhere Dividenden und Rückkäufe.


Sehr gut lässt sich das in der Öl- & Gas- Industrie veranschaulichen. Von Projektbeginn, wenn das erste Mal nach Öl & Gas Vorkommen gesucht wird, bis hin zum ersten Tropfen produzierten Öl, kann es zwischen 5 und 10 Jahre dauern. Niemand weiß, ob sich eine Ölproduktion in 10 Jahren noch lohnt.


Bei den Bergbauunternehmen ist das etwas anders, aber auch sie wollen nicht das volle Risiko eingehen. Schließlich sind neue Bergbauprojekte sehr risikoreich und kapitalintensiv, und die Rohstoffpreise waren in der Vergangenheit extrem unbeständig. Die Investitionen in den Bergbau und die Exploration von fossilen Brennstoffen bleibt also gedämpft, was die Rohstoffpreise steigen lässt. Hier darf nicht vergessen werden, dass somit auch die Ressourcen wie Kupfer, Lithium oder Kobalt für PV-Anlagen und Batterien teurer werden.

Abbildung 2: Weltweite Upstream-Investitionen in Öl und Gas, nominal und prozentuale Veränderung gegenüber dem Vorjahr, 2010 – 2020, iea.org


Weniger durchdachte Energiewende


In den letzten Jahren nahm die Energiewende, weg von fossilen Rohstoffen wie Öl & Gas und hin zu erneuerbarer Energie, stark an Fahrt auf. Angetrieben durch Demonstrationen und Forderungen aus der Bevölkerung nach nachhaltigeren Möglichkeiten, war die Politik gezwungen zu handeln. Diese Schritte sind auch wichtig und nötig, doch an der Umsetzung scheiterte es extrem.


Der Bundesverband erneuerbare Energie (BEE) schätzt den Bruttostromverbrauch in Deutschland im Jahr 2030 auf 745 TWh. Je höher der Stromverbrauch, desto stärker müssen die Wind- und Solarkraft-Kapazitäten ausgebaut werden, um das Ziel eines 65%-Anteils erneuerbarer Energien bis 2030 zu erreichen. Gleichzeitig müssen allerdings die grundsätzlich jederzeit verfügbaren Kapazitäten steigen (Wind- oder Solarenergie sind nicht jederzeit verfügbar), um eine sichere Stromversorgung gewährleisten zu können. Mit dem Atom- und Kohleausstieg passiert aber erst einmal das Gegenteil - grundsätzlich verfügbare Kapazitäten scheiden aus dem Markt aus.


Ende 2021 war noch geplant den Kohleausstieg bis 2030 zu bewerkstelligen, was dazu führen würde, dass Kohlekraftwerke mit einer Nettonennleistung von über 34 GW stillgelegt werden müssten. Abbildung 3 zeigt die geplanten gesetzlichen Stilllegungen gemäß dem unterzeichneten Atom- und Kohleausstieg bis 2024. Ungefähr 16 TWh an Leistung sollen demnach in den nächsten Jahren vom Netz genommen werden und aufgrund des steigenden Energieverbrauches, muss diese Leistung durch erneuerbare Energien mehr als nur ersetzt werden.

Abbildung 3: Erwarteter Zubau und aus dem Markt ausscheidende dargebotsunabhängige Kraftwerksleistung bis 2024 in MW, bundesnetzagentur.de


Abbildung 4 zeigt die Entwicklung von 15. November 2021 bis 31. Mai 2022. In diesem Zeitraum wurde demnach in Deutschland die Leistung fossil betriebener Kraftwerke von 73,890 MW auf 66,310 MW reduziert. Das entspricht einer Verringerung der am Netz angeschlossenen Kraftwerksleistung von 7,580 MW. Im gleichen Zeitraum stieg die Leistung der erneuerbaren Energie allerdings nur um 4,857 MW an, was zu einer fehlenden Kapazität von 2,723 MW führt.


Abbildung 4: Angeschlossene Kraftwerksleistung in Deutschland, bundesnetzagentur.de


Merit Order Effekt


Gas ist teuer und darum steigen die Energiepreise, obwohl in der EU nur rund 18 % des Stromes mittels Erdgas produziert wird, Abbildung 5.

Abbildung 5: Anteil der Energieträger an der Nettostromerzeugung in der EU im Jahr 2021, statista.de


Grund dafür ist der sogenannte „Merit Order Effekt“. Nach diesem Effekt muss festgestellt werden, wie viele Kraftwerke zur Deckung des Strombedarfs notwendig und welche davon am günstigsten sind. Beginnend mit den niedrigsten Grenzkosten werden so lange Kraftwerke mit höheren Grenzkosten zugeschaltet, bis die Nachfrage gedeckt ist, Abbildung 6. An der Strombörse bestimmt das letzte Gebot den Strompreis (Market Clearing Price). Der Preis für Strom wird also durch das jeweils teuerste Kraftwerk bestimmt, das noch benötigt wird, um die Stromnachfrage zu decken. Dieses Kraftwerk wird auch als Grenzkraftwerk bezeichnet.


Der Strompreis an der Strombörse richtet sich dann nach dem teuersten Kraftwerk. Am billigsten ist Strom aus erneuerbaren Energien, gefolgt von Atomstrom. Anschließend folgt in der Regel das Braunkohlekraftwerk sowie das Steinkohlekraftwerk und schlussendlich der aus den Gaskraftwerken gewonnene Strom. Jedes Kraftwerk bekommt den gleichen Preis für die erzeugte Menge. Dieses Vorgehen ist keine Besonderheit, auf allen transparenten Märkten für „homogene“ (austauschbare) Waren – wie zum Beispiel Weizen, Kupfer, Milch oder Erdöl – ist das der gängige Preisbildungs-Mechanismus.

Abbildung 6: Das Merit-Order-Prinzip, antoine-beinhoff.de


Auswirkungen


Die Situation könnte noch schlimmer werden, denn Erdgas ist nicht nur eine Energiequelle, sondern auch Ausgangsstoff für viele chemische Prozesse. Ohne Erdgas würden somit auch viele Industriebetriebe immer weniger produzieren können. Der auftretende Schaden ist immens, denn zahlreiche Unternehmen Europas schließen bereits ihre Tore. Betroffen ist vor allem die Düngemittelindustrie, diese stellt über den Haber-Bosch Prozess das Primärprodukt Ammoniak her, welches zu etwa 80 % zu Dünger weiterverarbeitet wird. Dabei reagiert Erdgas (Methan CH4) mit Wasser (H2O) in der Reforming Reaktion zu CO und H2. Der Wasserstoff wird anschließend mit Stickstoff N2 zu Ammoniak NH3 überführt. Aufgrund der hohen Gaspreise müssen viele Unternehmen ihre Produktion reduzieren.

Abbildung 7: Gaspreise treffen Europas Düngemittelproduzenten hart, icis.com


Die Energiekrise zwingt immer mehr Industrieunternehmen, die Produktion einzustellen. Der in Polen ansässigen Chemiehersteller Grupa Azoty musste die Produktion von Caprolactam (Capro), Polyamid 6 (PA6) und Stickstoffdüngemitteln einstellen. Das Unternehmen schätzt, dass seine Erdgaspreise von 72 €/MWh im Februar auf 276 €/MWh im August gestiegen sind.


Aldel und ArcelorMittal folgten letzte Woche. Am Freitag kündigte die Aluminiumfabrik Aldel in Delfzijl an, die Produktion wegen der hohen Strompreise einzustellen. ArcelorMittal, der weltgrößte Stahlkonzern, kündigte an, noch in diesem Monat Fabriken in Bremen vorübergehend zu schließen. Am Donnerstag hatte sie bereits eine ähnliche Entscheidung für ein spanisches Stahlwerk getroffen.


Die europäischen Gas- und Strompreise bewegten sich in den letzten Wochen um Rekordniveaus. In den Niederlanden hat dies bereits dazu geführt, dass die Düngemittelfabrik Yara in Zeeland einen Großteil der Fabrik geschlossen hat. Die Zinkfabrik von Nyrstar in Budel, Nordbrabant, wird ebenfalls geschlossen. Die Folgen einer Düngemittelknappheit könnten verehrende Auswirkungen haben.


Die Energiewende ist und bleibt trotzdem wichtig


Erneuerbare Energien stellen aktuell nur einen kleinen Teil des weltweiten Energiemix dar. Um die Klimaziele, wie das Pariser Klimaabkommen, nach dem die Erderwärmung auf 2 °C begrenzt werden soll, zu erreichen, muss sich einiges ändern. Ein schneller Umstieg auf erneuerbare Energien ist deshalb dringend erforderlich. Aber, der Übergang wird vermutlich länger dauern als erhofft. Abbildung 8 zeigt die zwei vergangenen Energiewenden. Die erste Energiewende war der Umstieg von traditionellen Biobrennstoffen wie Holz zu Kohle Ende des 19. Jahrhunderts. Darauf folgte die zweite Energiewende von Kohle zu Erdöl und Gas Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Abbildung zeigt, wie sich der globale Energiemix seit 1800 verändert hat und dass erneuerbare Energien derzeit nur einen kleinen Teil der weltweit verbrauchten Energie decken.


Abbildung 8: Anteil der Ressourcen am globalen Energiekonsum, schroders.com


Gut zu erkennen ist auch, dass die erste Energiewende von ca. 1850 bis 1900 dauerte. Es waren also 50 Jahre an Forschung, Entwicklung und Produktion nötig, bis der alte Brennstoff anteilsmäßig überholt wurde. Die zweite Energiewende von Kohle zu Öl & Gas startete um 1920 und benötigte ebenfalls ca. 50 Jahre. Aktuell befinden wir uns am Beginn der dritten Energiewende. Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Energiewende schneller ablaufen wird (aufgrund fortgeschrittener Industrie, usw.), als die letzten zwei, wird es vermutlich mindestens bis 2050 dauern, bis die erneuerbare Energie die „alte Energie“ anteilsmäßig übertroffen hat. Wie lange wird also die dritte Energiewende dauern?



- Patrick





Quellen


https://www.schroders.com/de/global-syndication-insights-german/maerkte/markt-updates/pro-retail/2019/was-ist-die-energiewende-und-warum-ist-sie-wichtig-fuer-anleger/

https://www.nrc.nl/nieuws/2022/09/02/meer-fabrieken-stil-om-energieprijs-a4140632

https://www.verbund.com/de-at/privatkunden/themenwelten/strom-aus-wasserkraft/strompreis-entstehung#:~:text=Der%20Strompreis%20wird%20an%20der%20B%C3%B6rse%20gebildet,-Erster%20Fakt%3A%20Strompreise&text=Einfach%20ausgedr%C3%BCckt%3A%20Geringe%20Nachfrage%20und,Angebot%2C%20erh%C3%B6hen%20sich%20die%20Preise.

https://de.wikipedia.org/wiki/Haber-Bosch-Verfahren

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